Orchester-Vorspiel zu Shakespeare’s Romeo und Julie
WoO 051
ID: | B0358 |
Musik: | Joachim Raff (C00695) |
Besetzung: | Orchester |
Alternative Besetzung: | Klavier vierhändig |
Kompositionszeitraum: | Januar 1879 bis Dezember 1879 |
Uraufführung: | 4. Januar 1884 in Wiesbaden , Kurhaus Dirigent*in: Louis Lüstner |
Zugehörige Quellen: | |
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Erfasste Ausgaben: | Schmidt (1891) |
Musikalisches Miniatur-Drama. Joachim Raffs Vorspiel zu «Romeo und Julia»
In seinen letzten Lebensjahren befasste sich Joachim Raff intensiv mit den Dramen William Shakespeares. Die Ausbeute waren vier konzise und dichte Orchestervorspiele, deren Entstehungskontexte weitgehend im Dunkeln liegen. Es ist jedoch anzunehmen, dass Raff alle vier wohl im Jahr 1879 entstandenen Vorspiele zusammen herauszugeben plante, doch sein Tod im Juni 1882 im Alter von bloss 60 Jahren trat dazwischen. Mehrere Schüler und Freunde engagierten sich für die Herausgabe und Aufführung seiner liegen gebliebenen Werke, so auch für die Shakespeare-Stücke.
Im Programm der postumen Uraufführung des Vorspiels zu «Romeo und Julia» am 4. Januar 1884, das der Raff eng verbundene Dirigent Louis Lüstner verfasst hat, steht zu lesen, dass der Komponist die «herkömmliche Ouvertürenform» vermieden habe, «um in Übereinstimmung mit dem Drama selbst, der Entwickelung desselben musikalischen Ausdruck zu verleihen». In der Tat beginnt das Vorspiel sehr zerklüftet: Nach einem aufsteigenden übermässigen Dreiklang werden auf engstem Raum drei Themen präsentiert: zuerst ein fanfarenartiges Thema, das sogleich von einem markanten zweiten Thema in den Holzbläsern beantwortet wird, sowie ein lieblicher, sich breit ausdehnender Dialog zwischen den ersten Violinen und den Celli. Programmatisch lassen sich die ersten beiden Themen wohl mit den verfeindeten Familien verknüpfen, während im dritten die Violinen Julia und die Celli Romeo verkörpern dürften. Wie zu erwarten, zerstören die nun in einen musikalischen Wettstreit tretenden «Familien-Themen» die Liebesidylle. Eine düstere, sakral anmutende Blechbläser-Passage, die wohl die Gruftszene einläutet, in der Romeo die vermeintlich tote Julia aufsucht, wird gefolgt von einer verzerrten, verklingenden Version des Liebesdialogs – Sinnbild für den Freitod der Liebenden. Nach einer kurzen Rekapitulation der Themen verklingt das Stück – jedoch wenig triumphal – in D-Dur.
Als Hans von Bülow, Raffs Freund und treuster Interpret, die Shakespeare-Stücke via Johannes Brahms bei dessen Berliner Verleger Fritz Simrock unterbringen wollte, zeigte sich dieser stets um seine Werke ringende Komponist skeptisch über Raffs «Vielschreiberei», ohne die Werke gesehen zu haben. So brachte erst Raffs Schüler Edward MacDowell die Vorspiele zu «Romeo und Julia» und «Macbeth» (WoO 50) 1891 beim Bostoner Verleger Arthur P. Schmidt unter. Die anderen beiden, zu «Sturm» und «Othello» verfasst, erschienen erst im neuen Jahrtausend beim Stuttgarter Verlag Nordstern.
Severin Kolb
Bereitgestellt durch Joachim-Raff-Archiv
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